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Gitarrenunterricht in Frankfurt

Dipl.-Gitarrenlehrer Stephan Zitzmann

Üben als Regelkreis

Beim Thema Üben treibt mich immer wieder der Versuch um, die absolut endgültige Übestrategie herauszufinden. Um dann festzustellen, endgültig hält auch nur ein paar Wochen. Dann kommt die nächste Idee. Mein Üben ändert sich. Was ich mal als tolle Idee empfand, gerät sogar manchmal in Vergessenheit

Momentan verweben sich mehrere Gedanken.

Ich verwende gerne als Ausstiegskriterium eines Übeschrittes, wie häufig ich das Ziel hintereinander erreicht habe. Aber ab und zu lässt sich die Zahl nicht in einem vernünftigen Zeitrahmen erreichen. Deswegen bin ich auf die Idee gekommen, mir eine Zeit zu setzen. Entweder ich erreiche die Zahl oder die Zeit ist das Ausstiegssignal.

Parallel fragte ich mal wieder, warum Schüler*Innen ihr Üben so wenig von selbst modifizieren. Also ich gebe ihnen eine Metronomzahl vor, sage aber: “Du kannst aber erhöhen, sei aber vorsichtig dabei.” Das Metronom bleibt gerne auf demselben Wert.

Des Öfteren erzähle ich meinen Schüler*Innen, dass eine meiner Hauptprobleme beim Üben als Erstklässler war, wann gehe ich zum nächsten Stück oder höre auf. Meine Schüler*Innen können diese Sicht aus ihrem eigenen Erleben verstehen.

Irgendwann dachte ich über einen bestimmten Schüler nach und kam zu dem Ergebnis, der bewegt sich im Üben nicht nach vorne, weil er immer dasselbe macht. Immer auf dasselbe achtet und seinen Focus nicht verändert. Also, wie plant man sein Üben?

Im Begriff Planen steckt meiner Meinung nach ein Problem, wenn es um das Üben geht. Ein Plan ist ein Maßnahmenkatalog, der sich über eine längere Zeit erstreckt, der abgearbeitet wird und dann hat man das gewünschte Ergebnis.

Der Prozess des Übens hat zu viele Unwägbarkeiten, sodass man ihn sehr detailliert planen könnte.

Irgendwann fiel mir wieder der Begriff des Regelkreises ein. Durch das Prinzip des Regelkreises könnte man Üben als einen sich selbststeuerndern Prozess gestalten oder betrachten.

Das Bild des Regelkreises für das Üben kenne ich seit meinem Studium und fand es damals sehr produktiv. Eigentlich lernte ich den Regelkreis in einem psychologischen Lehrbuch kennen. Man sprach von TOTE, einem Akronym für Test->Operate->Test-Exit.

Man handelt und testet, wie gut der Handlungsplan eingehalten wurde. Falls der Handlungsplan nicht eingehalten wurde, handelt man erneut. Dies tut man so lange, bis der Handlungsplan eingehalten wurde.

Das Wertvolle für mich war, dass man in diesem Buch auf dem Inhalt des Handlungsplans regelrecht “herumgeritten” ist. Dort betonte man damals, dass das Nicht-Erreichen des Handlungsziels an einem mangelhaften Handlungsplan liegen könnte. Man möge doch den Handlungsplan modifizieren.

Fragt man Schüler, worauf sie achten sollen, ist die Antwort sehr gerne: “Dass ich alles richtig mache.” statt z.B. “Ich setzte den vierten Finger gekrümmt auf.” Diese Beschreibung kann man noch viel facettenreicher erfassen. Wichtig war, wie stelle ich mir die Handlung vor, um das Ziel zu erreichen.

Darauf werde ich hier nicht genauer eingehen. Aber wie mich diese Überlegung geprägt hat, merkt man – so glaube ich – meinem Blog an. Immer wieder geht es darum, wie arbeite ich an meiner Vorstellung.

Bloß jetzt sticht mir ein anderer Punkt des Regelkreises ins Auge. Die Messung im Regelkreis und der Ausstieg aus dem Regelkreis.

Das grundsätzliche Prinzip eines Regelkreises ist trivial. Ich habe eine Messeinheit – im weiteren Messfühler – der den Istwert misst. Dieser Istwert wird mit dem Sollwert verglichen. Ab einer gewissen Abweichung des Istwertes werden Maßnahmen ergriffen, um den Sollwert zu erreichen. Wird der Sollwert erreicht, wird die Maßnahme beendet.

Ein Heizungsthermostat ist ein gängiges und leicht verstehbares Beispiel. Fällt die Temperatur unter einen bestimmten Wert, wird das Ventil geöffnet, bis die gewünschte Raumtemperatur erreicht wird. Dann wird das Ventil wieder geschlossen.

Eigentlich sind Heizungsthermostaten etwas raffinierter, je näher man der Raumtemperatur ist, desto mehr wird das Ventil geschlossen.

Auf den ersten Blick ist die Parallele zum Üben trivial. Jetzt bei meinem Üben das Bild des Regelkreises betrachtend, stelle ich fest, einerseits ist das Bild des Regelkreises ein sehr gutes Bild. Aber wenn ich mich an diesem Bild jetzt abarbeite, dann erklären sich mir viele Dinge und mir kommen gute Ideen. Denn Üben ist kein so simpler Regelkreis wie ein Heizungsthermostat.

Der Messfühler

Das Schöne am Beispiel des Thermostats ist, es gibt nur einen Messfühler und eine einfache Reaktion darauf.

Aber wie ist es beim Üben?

Beim Thermostaten ist wichtig, dass es den Messfühler gibt und das er funktioniert. Ist technisch alles in Ordnung, muss man sich keine Sorgen machen.

Leider sind wir keine technischen Geräte, sondern Menschen mit Aufmerksamkeitsproblemen. Unser Messfühler ist unsere Wahrnehmung und damit beginnen dann die Schwierigkeiten.

Das am einfachst zu benennende Problem ist, messen wir überhaupt während des Übens. Also achten wir auf etwas Bestimmtes, fluktuiert unsere Aufmerksamkeit frei herum oder spulen wir einfach ein motorisches Programm ab?

Wir müssen darauf achten, ob wir wirklich mit unserer Aufmerksamkeit das wahrnehmen, was wir wahrnehmen wollen.

Gedrängle im Kopf ist ein Zeichen dafür, dass die Achtsamkeit überfordert ist.
Also man braucht eigentlich einen Messfühler dafür, wie übersichtlich die Dinge sind, die man wahrnehmen will. Daraus folgen Maßnahmen, um eine bessere Aufmerksamkeit zu ermöglichen.

Aber wir sind kein Heizthermostat, für den nur eine Sache wichtig ist? Für uns sind viele Daten wichtig. Leider können wir nicht wie in der Technik, beliebig viele Messfühler gleichzeitig betreiben, sondern müssen eine Auswahl treffen.

Wichtig ist, dass wir immer entscheiden, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken.

Mancher wird sagen, dies seine Binsenweisheit. Bloß schauen wir genauer hin.

Ob ich am Bund greife, kann ich z.B. über das Fingerspitzengefühl oder über das Auge kontrollieren. Mein Greifen kann ich z.B.

  • visuell kontrollieren
  • über das Gefühl am Saitenkuppenkontaktpunkt
  • das Sicherheitsgefühl beim Greifen

Es ist wichtig, dass ich die Art der Aufmerksamkeit genau definiere. Auf was für Merkmale achte ich wie?

Wer das probiert wird feststellen, es gibt Dinge, auf die man ohne große Anstrengung achten kann. Aber bei manchen muss man sich anstrengen und bei anderen schafft man es nur teilweise bis gar nicht.

Ein Teil des Übens ist, dass man seine Wahrnehmung trainiert oder lernt, wie man die Gegebenheiten schafft, sodass man wahrnehmen kann.

Ein kleiner Fakt aus dem Buch „Vom Neandertal in die Philharmonie“ von Eckart Altenmüller. Es gibt Test, wie klein der Abstand ist, sodass man zwei Druckpunkte als einen Punkt wahrnimmt. Bei Berufspianisten ist dieser Abstand auf den Fingerkuppen, 1,2 mm. Bei der „normalen“ Bevölkerung bei 1, 6 mm. Altenmüller beschreibt dies als Entwicklung.

Ich für meinen Teil bilde mir ein, dass das Zeitfenster, was ich noch beobachten kann, im Laufe der Zeit kleiner wurde.

Vor dem Schreiben des Artikels bin ich davon ausgegangen, dass das Thermostatventil geschlossen wird, wenn die Solltemperatur erreicht ist. Jetzt las ich, das Ventil wird um so mehr geschlossen, je näher man der Solltemperatur ist. Dies auf das Üben übertragen, bedeutet:

Wann reagiere ich wie auf welche Abweichung vom Sollwert?

„Wann“ ist meiner Meinung nach einfach zu klären. Entweder ich breche ab, wenn die Abweichung stattfindet oder nachdem ich die Passage gespielt habe.

Aber bei „welche“ stelle ich darüber schreibend und nachdenkend fest, ich kenne in dieser Frage eigentlich kaum Variationsmöglichkeiten. Ich betreibe bei mir eine Art Zero-tolerance-Politik.

Aber es gibt bei Schülern den Moment, wo man sagen muss: „Verbeiße dich nicht in dem Problem, das wirst Du eher auf lange Sicht los.“

Aber beim Erreichen des Sollwertes ist wichtig, dass es beim Üben darum geht, dass das Ergebnis stabilisiert wird.

Also man muss auch definieren, woran man die Stabilisierung des Erreichten erkennt.

Eine These aus dem bisher geschriebenen ist:

Wenn etwas nicht gelingt, liegt das vielleicht daran, dass man die entscheidenden Parameter nicht wahrnehmen kann.

Ich hatte das vor kurzem mit einem jungen Schüler. Sein Problem war nicht, dass er seine Finger nicht ruhig halten konnte, sondern er bekam nicht mit, ob er sie ruhig hielt. Die Aufgabenstellung „Spüre den dritten Finger und spiele langsamer.“ war die Lösung.

Eine wichtige Frage im Unterricht ist:

Kannst Du die ganze Zeit auf das Merkmal achten, worum es geht?“ bzw. „Kannst Du auf das Merkmal achten, wenn es notwendig ist?“

Das Bild vom Regelkreis erscheint auf den ersten Blick simpel, weil sich eine überschaubare Struktur darbietet. Aber sobald ich feststelle, der Istwert entspricht nicht dem Sollwert, dann muss ich Maßnahmen einleiten, um den Sollwert zu erreichen. Und das ist nicht unbedingt, ich wiederhole so lange, bis es passt. Sondern man steigt aus und übt an dem Problem. Damit ist man in einem neuen Regelkreis.

Geht man dann in den vorigen Regelkreis zurück, muss man auch darauf achten, dass man die Kriterien, die sich bei der Problemlösung herausgestellt haben, beachtet werden. Also man muss dann zwei Messfühler beobachten. Und bei jedem Problem, was man löst, kommt einer dazu.

Man hat dann das Problem, wie organisiert man das mental.

Es gibt auch Regelkreise, deren Messfüller müssen durch einen anderen Messfühler kontrolliert werden. Hat man das Ziel lockerer zu spielen, besteht die Gefahr, dass man zu locker wird. Also man muss auch Kriterien beachten, die einem sagen, jetzt wird das Ziel Lockerheit zum Problem.

Aber auch hier die Frage, bekommt man das mental unter einen Hut?

Hinzukommt, weil man auf einen Aspekt achtet, geschehen Fehler. Ignoriert man diese oder geht man ihnen nach? Also man ist mental auch mit den Fehlern beschäftigt.

Sobald man sein Ziel erreicht hat, betritt man einen neuen Regelkreis, nämlich die Wahl des nächsten Ziels.

Wenn man sich, um im Bild zu bleiben, für einen Messfühler entscheidet, dann hat man eine Auswahl getroffen. Warum entscheidet man sich gerade für diesen Messfühler? Dazu kommt, arbeitet man an allen Problemen oder nur eine Auswahl. In was für einer Reihenfolge? Auf was für Grundlagen basieren diese Entscheidungen?

  • An der Offensichtlichkeit der Probleme,
  • Zeitmanagement,
  • Was halte ich für gerade wichtig?

Probleme

Wie dem nun auch sei, denkt man länger über dieses Regelkreismodell nach, stellt man fest, dass Üben eigentlich ein fortwährender Entscheidungsprozess ist.

Oben schrieb ich, dass es wichtig sei, eine Sache im Auge zu behalten. Aber sobald ich eine Stelle nachbessern muss, entwickle ich ja Strategie, wie ich diese Stelle besser mache. Damit kommt aber ein weiteres Kriterium und damit ein weiterer Regelkreis hinzu.

Ich verwendete schon den Begriff „Zeitmanagement“. Das Schöne für mich an diesem Regelkreismodell ist, dass ich ein Problem umgehen kann, was ich für schwer lösbar halte. Man soll sein Üben planen. Aber wer sagt, dass die Dinge so fortschreiten, wie man es erwartet. Üben zu planen, erscheint mir unmöglich.

Das liegt vielleicht an meiner Vorstellung von Planung. Wenn ich sage, ich kann das Stück in vier Wochen mit Tempo xyz. Dann muss ich das +- zwei bis drei Tage so schaffen. Planen heißt für mich, präzise Ziele über längere Zeiträume zu setzen und die Maßnahmen zur Erreichung zu entwerfen. Diese Zielvorgaben dürfen nur geringfügig verletzt werden. Weiter heißt Planen für mich. Ich weiß jetzt schon, was ich sechs Wochen übe. Das geht meiner Meinung nach nicht.(Man könnt aber auch sagen, das geht nicht, weil man mit mir nie so gearbeitet hat und ich das nur fortschreibe.)

Das Regelkreismodell besagt in gewisser Weise, arbeite an dem, was anfällt. Man muss sich nicht mit den dem Problem der zuverlässigen Prognose herumschlagen.

Aber beim Üben geht es auch um Zeitnähe. Übe ich etwas länger nicht, weil ich an anderer Stelle verweile, dann habe ich der zur Seite geschobenen Sache vielleicht geschadet. Das Offene des Regelkreisprozesses hat die Gefahr, dass ich mich treiben lasse, versacke oder versumpfe. Weiter habe ich das Problem, ich übe nur das, was anfällt. Sollte ich gerade keine Stücke haben, die Geschwindigkeit fordern, verliere ich Geschwindigkeitsfähigkeiten. (Wobei hier die Frage zu stellen ist, wie viel Zeit verliere ich, wenn ich diese wieder aufbaue statt zu pflegen? Also verliere ich wirklich Zeit?)

Wie dem nun auch sei, denkt man länger über dieses Regelkreismodell nach, stellt man fest, dass Üben eigentlich ein fortwährender komplexer Entscheidungsprozess ist.

Wenn man sich als Lehrkraft klarmacht, wie viele Entscheidungen man eigentlich treffen muss, wie diese sich teilweise aufeinander beziehen, dann wird klar, warum Schüler*Innen ganz gerne darauf losmachen. Ihnen bleibt mangels Erfahrung und Wissen nichts anderes übrig.

So kritisch dieser Abschluss ist, die wesentlich wichtigere und positive Erkenntnis für mich ist, bei den Schüler*Innen zu thematisieren, wie achten sie auf was? Sind sie dazu in der Lage? Bzw. die Achtsamkeit in Aufgabenstellungen explizit einzubauen.

Ein Nebenprodukt dieser Überlegungen sind die Artikel Wege fahren, Stücke spielen” und “Der kognitive Overflow“. Denn dass Üben ein Regelkreis ist und die Aufmerksamkeit beansprucht, ist klar. Es ist aber die Frage, ob man die Aufmerksamkeitslenkung dem Unterbewusstsein überlässt oder willentlich führt. Aber durch diese Absorption der Aufmerksamkeit, entsteht die Aufgabe, Aufmerksamkeit gezielt zum Einprägen zu verwenden.

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Der Beitrag wurde am Freitag, den 23. Juni 2023 um 08:10 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gitarrenunterricht, Übemethodik abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .