Ein lebendiges Metronom
Im letzten Artikel habe ich die App AudioStretch vorgestellt. Die Möglichkeiten habe ich nur angedeutet. Die Möglichkeiten sind aber vielleicht meine privaten Spielereien, wo sich andere vielleicht denken: “Wenn er meint.”
Eine dieser Spielereien dürfte dann doch für einige interessant sein. Viele sind von den elektronischen Metronomen genervt. Sie piepen, sind manchen zu starr und manche Konstellation ist schwer oder gar nicht in diese elektronischen Rhythmushelfer einzugeben.
Also man klatscht sein Metronommuster, nimmt es auf, öffnet es in AudioStretch. Dort spielt man es als Loop ab.
Beim Herumexperimentieren habe ich aber festgestellt, dass mir und den meisten meiner Schüler bei einer Aufnahme eines Zählens leichter fällt, die Töne auf die richtigen Zeiten zu setzen, als bei einer geklatschten Aufnahme.
Diese Beobachtung kombiniert mit den Beobachtungen, die ich im Artikel “Lehrer, dämpft die Signale!” beschrieb, brachten mich auf eine Idee.
- Ich zähle, der Schüler spielt zu meinem Zählen, ohne selber zu zählen.
- Der Schüler zählt gemeinsam mit mir laut.
- Der Schüler zählt gemeinsam mit mir. Ich laut, der Schüler leise.
- Dann zählt der Schüler alleine.
Einerseits äußerten die meisten Versuchskaninchen, nach diesem Vorgehen, wäre das Zählen nicht so sperrig im Kopf, aber andererseits, wenn ich jede Passage des Stückes mit den Schülern so durcharbeite, das braucht doch viel Zeit. So können die Schüler*Innen, dass für sich selber zu Hause machen.
Man könnte natürlich einwenden, mit dieser Methode wird die Zahl der Wiederholungen einfach gesteigert. Die Schüler*Innen machen mit, weil es sinnvoll erscheint. Vielleicht.
Es gibt aber zwei Schüler*Innen, die mich in dem Gedanken bestärken, dass da mehr dahinter stecken könnte. Ein Schüler von mir hat die Diagnose Dysgraphie. Als ich ihn auf leises Zählen umstellte, brach sein Rhythmus zusammen. Geholfen hat ihm, dass ich ihm Sachen an die Hand gab, die ihn von außen steuerten. Dies ermöglicht ihm, die Stücke wieder rhythmisch ohne die externe Steuerung stabil zu spielen.
Das waren Playbacks und aufgenommenes Zählen. Metronom war eher ein Fehlschlag.
Bei diesem Schüler ist es höchstwahrscheinlich so, dass wegen seiner Schwierigkeiten in der Feinmotorik seiner Finger er kognitiv so belastet ist, dass für ihn das Absenken der kognitiven Last durch solche externe Hilfe eine Lösung darstellen, sich auf Dauer doch selber zu steuern.
Bei der zweiten Schülerin ist der Zusammenhang nicht so offenkundig, man könnte auch sagen, er ist von mir herbeispekuliert. Sie ist eine sehr treue Schülerin, ich habe sie seit über zehn Jahren, aber eine sehr langsame Schülerin. Ihre LRS deutet sich auch beim Notenlesen an. Es gibt Noten, die sie seit Jahren immer wieder verwechselt. Diese Schülerin zählt immer noch laut. Genauso wie der so eben beschriebene Schüler. Sonst stellen die Schüler*Innen von selbst und unaufgefordert auf leises Zählen um. Diese Schülerin habe ich jetzt auch mit externem Zählen und Playbacks versorgt, und sie wird auch rhythmisch stabiler.
Es gibt eine weitere Idee, die auch schon ein Schüler ausbaden musste, nimm dir dein eigenes Playback auf. Die Vorgehensweise war:
- Nimm dir dein Zählen auf und spiele dazu, stelle das Zählen allmählich leiser.
- Nimm auf, was Du jetzt spielst. Kontrolliere mit Zählen, ob das wirklich stimmt.
- Wenn deine Aufnahme richtig ist, spiele zu deiner Aufnahme.
Das Ergebnis des damit geübten Stückes war ziemlich gut. Die Reaktion des Schülers war zweischneidig. Einerseits macht es Spaß, andererseits ist es viel Arbeit. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich Audiostretch noch nicht. Der arme Kerl musste deswegen 20 Takte Zählen aufnehmen. Wenn er dann das falsche Tempo wählte, …
Mit AudioStretch ist das weniger schlimm, weil das Tempo verlangsamt werden kann und man nicht so lange einzählen muss.
Ob diese Methode grundsätzlich sinnvoll ist, darüber bin ich mir noch nicht schlüssig. Aber dieser Schüler begriff dadurch, warum wir Musiker*Innen manche Maßstäbe so vehement vertreten. Seine Erkenntnis: “Damit meine eigene Aufnahme mir wirklich hilft, muss ich perfekt arbeiten.”
Der Beitrag wurde am Freitag, den 13. Juni 2025 um 08:42 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gitarrenunterricht, Recording, Übemethodik abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .