Lehrer, dämpft die Signale!
Ich lasse am Anfang meines Unterrichts meine Schüler*innen laut zählen, denn dies ist stabiler als das Zählen im Kopf. Irgendwann wird dieses Zählen zu einem leisen oder geschieht nur noch im Kopf. So weit, so gut. Jetzt hatte ich einen Schüler, der noch nach Jahren laut zählt, sodass ich ihm „befahl“, leise zu zählen. Und sein Rhythmus brach zusammen.
Von manchen Schüler*innen, die mit Metronom spielen, kenne ich, dass der Rhythmus zusammenbricht, sobald das Metronom abgeschaltet wird. Drei meiner Schüler*innen, darunter auch der Schüler, der ein Problem mit leisem Zählen hat, lasse ich mit Musescore als Playback-Möglichkeit üben. Bei einem Schüler, der Rentner ist, kann ich feststellen, dass der Rhythmus besser ist als mit Zählen, aber er wackelt immer noch, wenn Musescore aus ist.
Wie in den letzten Artikeln deutlich wurde, beschäftige ich mich mit der Kognition beim Bewegungslernen. Nehme ich das dort Gelernte und betrachte ich damit Instrumentalunterricht, dann schaffen wir sehr ungünstige Bedingungen. Wir, man entschuldige bitte den saloppen Ton, knallen den Leuten, insbesondere Anfängern, das Arbeitsgedächtnis zu. Sie sollen zu Hause üben, wo sie kein Feedback über Falsch und Richtig haben. Deswegen überschütten wir sie mit Steuermechanismen, damit ihnen nichts anderes übrig bleibt, als richtig zu spielen. Von einer schrittweisen Erhöhung der kognitiven Last ist keine Rede.
Das Putten beim Golfspiel kann man so trainieren, dass man z. B. mit fünf Zentimetern Abstand beginnt und diesen Abstand in Fünf-Zentimeter-Schritten erhöht. Dies führt zu besseren Puttergebnissen, als wenn die Lernenden gleich mit einem gängigen Abstand zu putten beginnen.
Ich habe einen Schüler, der nur mit Metronom sehr langsam spielen kann. All die soeben genannten Überlegungen brachten mich auf die Idee, dem Schüler vorzuschlagen, er solle zu Hause sein Metronom allmählich leiser schalten. Er tat dies nicht. (Pointe: Der Schüler ist Lehrer.) Also machte ich das mit ihm im Unterricht. Mittendrin meinte er plötzlich: „Komisch, je leiser das Metronom wird, desto deutlicher spüre ich einen Puls in mir.“
Diese Anmerkung machte mich hellhörig und ich experimentierte zu Hause. Ich machte mir von einem neuen Stück eine MIDI-Datei und öffnete diese in Reaper. Dann machte ich mir eine Zählspur mit meinen Bewegungskommandos und eine Metronomspur. Alle drei Spuren stellte ich auf gut hörbar ein und spielte mit. Bei jedem weiteren Mitspielen stellte ich die Zählspur leiser. Als das Zählen immer schwerer hörbar wurde, setzte in mir ein Zählen ein. Dann fuhr ich allmählich die Musik zurück. Da stellte sich zwar kein Effekt der Ergänzung ein, aber als die Musik nicht mehr hörbar war, war Zählen und Spielen deutlich weniger sperrig in meinem Kopf, als ich es sonst kenne. Dann fuhr ich die Metronomspur allmählich herunter. Auch hier der Effekt, dass ich irgendwann einen inneren Puls aufbaute, um das immer schwerer zu hörende Metronom zu ersetzen.
Meine These: Wenn ich Schüler*innen von außen steuere und die Signale der Steuerung allmählich abschwäche, dann beginnen die Lernenden, diese Steuerung oder einen Ersatz aufzubauen. Wer sich aber meinen Versuchsaufbau vergegenwärtigt, der wird zu Recht der Meinung sein, dass das alles ziemlich unpraktisch ist. Dies kann der Schüler zu Hause nicht anwenden. Aber es gibt doch ein paar Möglichkeiten:
- Für den ersten Schüler wäre dies, das Zählen allmählich leiser werden zu lassen.
- Wenn man mit dem Metronom übt, dieses allmählich leiser zu drehen.
- Sich sein Zählen mit dem Handy aufzunehmen und die Aufnahme allmählich leiser werden zu lassen.
- Schüler*innen, die mit einem Playback üben, sollten dieses allmählich leiser schalten. Es gibt bei Playbacks noch eine interessante Sache: Wenn das Playback eigentlich nicht mehr hörbar ist, merkt man teilweise trotzdem noch, wenn man falsch spielt. Das Restsignal lässt das eigene Spiel etwas leicht schief oder verstimmt klingen.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 9. Mai 2025 um 08:59 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gitarre lernen, Gitarrenunterricht, Lernen, praktisch, Übemethodik abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .