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Gitarrenunterricht in Frankfurt

Dipl.-Gitarrenlehrer Stephan Zitzmann

Instrumentale Kognition

Um das Wirrwarr in meinem Kopf zu sortieren, welche die Beschäftigung mit Susan Williams Buch “Optimal üben” angerichtet hat, habe ich mir diese zwei Bücher durchgelesen:

Band 2 ist nur teilweise relevant für Instrumenatallehrer.

Thema meiner Diplomarbeit war zwar „Sportliche Bewegungslehre für die Instrumentalpädagogik“, aber ich bemerkte, dass dies dann doch mehr als dreißig Jahre her ist.

In der Literatur, die ich damals verwendete, war die Kognition bei weitem nicht so stark das Thema wie jetzt.

Sind automatisierte Bewegungen unterbewusst?

Bei der Auseinandersetzung mit dem Buch fiel mir auf, wir Musiker und auch ich nehmen das Wort Automatisierung gerne in den Mund, aber definieren es eigentlich nicht genauer. In meiner Wahrnehmung wird eine interessante Frage nicht beantwortet. Laufen automatisierte musikalische Bewegungen unterbewusst oder ohne Aufmerksamkeit ab? Kerstin Witte gibt auf Seite 51 in dieser Frage Orientierung:

Automatische (automatisierte) Bewegungen

Zu den automatischen oder automatisierten Bewegungen gehören rhythmische Bewegungsmuster, wie das Gehen, Laufen, Fahrradfahren oder Kauen. Sie werden meist im Verlauf des Lebens erlernt. Die Grundlage bilden Rhythmus- oder Mustergeneratoren, alternierende Zentren oder geschlossene Schleifen. Diese Bewegungen erscheinen meist unbewusst und werden damit ohne gerichtete Aufmerksamkeit ausgeführt (Wollny2007).

Willkürbewegungen

Unter Willkürbewegungen versteht man intendierte (beabsichtigte) geplante Bewegungen. Sie werden durch das komplexe, hierarchisch organisierte und mit Rückkopplungsschleifen auf allen Ebenen versehene neuronale System einschließlich der Verbindungen zur Muskulatur realisiert. Willkürbewegungen können entsprechend des Beherrschungsgrades der Bewegung automatisiert werden, laufen aber nicht unbewusst ab.

Daraus kann man schließen, dass musikalische Bewegungen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unbewusst ablaufen. Sondern mit Aufmerksamkeit. Das halte ich für eine nicht unwichtige Erkenntnis.

Wie diese Aufmerksamkeit gestaltet, lässt sich vermutlich über den Begriff “motorische Fertigkeiten” herleiten.

Motorische Fertigkeiten sind gelernte Bewegungen. Sie werden in Basis- und komplexe Fertigkeiten aufgeteilt.

  • Basisfertigkeiten sind unter anderem: Laufen, Gehen, Werfen, Springen
  • Komplexe Fertigkeiten sind: Schwimmen, Kugelstoßen, Hochspringen, Balancieren, Rudern

Als Musiker fragt man sich, und wo bekomme ich da eine Bachsuite unter? Kerstin Witte schreibt es nirgendwo explizit, aber andere von mir gelesene sportwissenschaftliche Literatur legt einen Gedanken nahe.

Bei den Dual-Task-Aufgaben habe ich herausgefunden, dass diese im Sport verwendet werden, dass die Fertigkeit, so weit automatisiert wird, sodass genügend kognitive Kapazität frei wird, um strategische Entscheidungen zu treffen. Also man überlegt sich, werfe ich oder dribble ich weiter? Wohin spiele ich den Ball? Also man stößt bewusst die Fertigkeit an, die in einem größeren Zusammenhang, zum Beispiel einem Spiel, eingebettet ist.

In dem Buch Motor Control and Learning: A Behavioral Emphasis finden sich die Begriffe „Discrete, Continuous, and Serial Skills“.

Unter den serial skills wird „Piano Playing“ aufgeführt. Serial skills sind Fertigkeiten, bei welchen discrete skills aneinandergereiht werden. Discrete skills sind Fertigkeiten, die einen klaren Anfang bzw. ein klares Ende für mehrere unabhängige Beobachter haben. Neben dem Klavierspielen wird auch Kunstturnen erwähnt. Beim Kunstturnen hat man verschiedene Elemente (Salto, Schraube etc.), die aneinander gereiht werden. Die einzelnen Elemente werden geübt und es wird geübt, diese aneinander zu reihen.

Irgendetwas in dieser Art tun wir Musiker vermutlich auch. Ohne den Turnern zu nahe treten zu wollen, wir haben mehr Stoff. Also wir müssten uns wirklich überlegen, wie wir unsere Stücke strukturieren.

  • Was betrachten wir als discrete skill?
  • Was ist der Automatisierungsgrad dieser Abschnitte?
  • Kann man diese Abschnitte in größere Abschnitte zusammenfassen?
  • Wie signalisiere ich meinen Fingern, bei was für einer Fertigkeit bzw. welchem Abschnitt ich bin, bzw. welche ich einleiten muss oder will?

Das ist eine Arbeit, die jeder für sich selbst machen muss, die teilweise aus meinem Erleben auch intuitiv abläuft.

Warum halte ich das für sinnvoll? Mir begegnet bei Musikern immer häufiger der Begriff „muscle memory“. Dabei habe ich den Eindruck, dass viele davon ausgehen, dass man alles gleich stark im motorischen Langzeitgedächtnis verankern kann. Und das dürfte einfach so nicht stimmen.

Weiterhin dieser Begriff ist umstritten. Manche loben ihn, andere verzweifeln an ihm und kritisieren ihn vehement. Das Problem dürfte sein, dass jeder eine andere Vorstellung davon hat, was es bedeutet, dass das Stück in das motorische Langzeitgedächtnis übergeht. Manche haben geeignete Vorstellungen, andere, die eher in das Fiasko führen.

Zu der letzten Frage: „Wie signalisiere ich meinen Fingern, bei was für einer Fertigkeit bzw. Abschnitt ich bin, bzw. welche ich einleiten muss oder will?“ noch eine Anmerkung.

Viele meiner Schülerinnen berichten, dass es zu Hause einfach laufen würde. Ich vermute, sie schauen zu und sind aufmerksam, aber dass sie geben keine Kommandos mehr, was als Nächstes kommt. Es ist eine passive Aufmerksamkeit statt einer aktiven bzw. steuernden Aufmerksamkeit.

Das Fokusproblem

Bei diesem Fokusproblem versuche ich zu formulieren, was Probleme beim Instrumentalunterricht von Laien sein könnte.

Die von mir durchforstete sportwissenschaftlich Literatur beschreibt übereinstimmend, dass es beim Erlernen einer Bewegung eine Fokusverlagerung gibt. Kurz gesagt, die Aufmerksamkeit verlagert sich von der Bewegungsausführung zur Bewertung und Beobachtung des Ergebnisses. Bloß dabei gibt es ein Problem, das ich mit einem Beispiel illustrieren will.

Ich übe zum ersten Mal in meinem Leben ein Stück im 11/16 Takt. Das Metrum 2-2-3-2-2 ist gänzlich neu für mich.

Bei diesem 11/16-Takt-Stück musste ich eine Strategie einüben oder aufrechterhalten, dass ich bei dem Metrumglied, das drei Sechzehntel lang ist, nicht aus dem Tritt gerate.

Eigentlich war ich stolz, wie schnell ich die Nuss mit diesem 11/16 Takt geknackt habe. Aufnahmen zeigten mir, dass ich das Metrum nicht verlor. Einige Wochen später nahm ich mich wieder auf und stellte fest, dass ich nicht bemerkt habe, dass ich das Metrum an der entscheidenden Stelle verloren hatte. Das Problem ist, ich kann momentan nicht verlässlich hörend oder mit einem anderen Sinneskanal feststellen, ob ich richtig spiele. Also halte ich einen Steuermechanismus aufrecht, um das richtige Ergebnis zu erzielen.

Aber die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ist beschränkt und dies auch sehr rigoros. Habe ich vor lauter Steuerung überhaupt die Möglichkeit zu lernen, wie es sich richtig anhört, wenn die Steuerung einfach zu viel Platz einnimmt. Also kann ich weitere akustische oder andere sinnliche Kriterien für falsch oder richtig entwickeln, außer dem Kriterium, dass ich den Steuermechanismus befolgt habe?

In diesem Dilemma dürften auch viele Lernende stehen. Wir geben ihnen viele Anweisungen, die gewährleisten, dass richtig gespielt wird. Aber weil sie all diese Anweisungen beachten, können sie nicht darüber hinausgehende Merkmale lernen, zu erkennen, wann sie richtig spielen.

Bzw. sie kommen vielleicht gar nicht auf die Idee, auf darüber hinausgehende Merkmale zu achten.

Dieses Problem gibt es auch in einer anderen Ausprägung.

Die meisten Lehrenden hatten garantiert schon einmal die Diskussion „Das-hört-man-doch-nicht“. Eigentlich ist es dem Ton teilweise ziemlich egal, wie ich die Fingerkuppe auf das Fingerbrett setze. Er klingt doch erstaunlich häufig doch ganz anständig. Aber damit das Ergebnis zuverlässig wird, ist es klüger, den Finger auf eine bestimmte Art und Weise aufzusetzen. Also es klingt in Ordnung, aber da gibt es eine Person im Unterrichtsraum, die meckert: „Du greifst nicht anständig!“ Was tun wahrscheinlich viele Lernende? Sie fokussieren ausschließlich darauf, dass die Finger richtig sitzen und kümmern sich nicht mehr um den Klang, damit der meckernde Lehrende das Meckern lässt.

Eigentlich müsste man einen Doppelfokus haben, einmal auf den Klang und auf das Bewegungsergebnis. Aber wie gesagt, das Arbeitsgedächtnis ist begrenzt. Also entscheidet man sich für einen Fokus. Vermutlich für den Fokus, der einem die meiste Sicherheit bietet.

Ich habe vor längerer Zeit einige Artikel geschrieben, warum trotz Instrumentalspiel bzw. -unterricht eine so unterschiedliche Musikalisierung der Menschen stattfindet. Vielleicht liegt es an den unbewussten Fokusentscheidungen der Musizierenden.

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Der Beitrag wurde am Freitag, den 2. Mai 2025 um 08:01 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Forschung, Gitarre lernen, Gitarrenunterricht, Musikalität, Übemethodik abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .