Die übergriffigen Nachbarn
Mir hat vor einiger Zeit eine Schülerin – damals 14 Jahre alt – erzählt, sie würde so ungerne üben, weil eine Nachbarin ihr Üben kommentiert hat. Der Kommentar war zwar sehr positiv, aber trotzdem fand die Schülerin den Kommentar unangenehm. Ich ahnte, um was für einen Tonfall es sich handelte und äffte diesen nach. Volltreffer.
Das Blog ist leider ein schriftliches Medium, also was ist das für ein Ton? Es ist eigentlich kein Ton, sondern eine unterschwellige Nachricht. Es gibt andere Kommentare, die klarmachen können, worum es geht. Ich hatte vor ein paar Tagen so einen Kommentar: “Allmählich kann ich deine Sachen mitsingen, willst Du nicht einmal was Neues üben.” Übersetzt: “Richte dein Üben an meinen Unterhaltungsbedürfnissen aus.”
Als Musiker bekommt man zwar die Verwunderung, dass man so lange dasselbe spielen würde, öfters ab, aber ich empfinde diese Anmerkungen stark unterschiedlich. Das einmal ist ein interessiertes Nachfragen, wie dieses Musikerdasein wirklich ist. Das andere Mal ist es eine ungebetene Einmischung in mein Leben und ein absolutes Desinteresse an meiner Person.
Ich weiß, von einigen Leuten, die es nicht mögen, dass man ihnen beim Üben zuhören kann, weil sie das Gefühl haben, man würde sie bewerten. Wenn dann noch Erwartungen an sie formuliert werden, denen sie nicht entsprechen können oder wollen, dann ist der Ofen aus.
Warum ist es so schwer, über solche Kommentare zu stehen? Üben ist mindestens ein privater, wenn nicht ein intimer Vorgang, indem reale oder wirkliche Schwächen zutage treten. Wenn dieser private oder intime Vorgang kommentiert wird, ist das eine Grenzüberschreitung, weil dadurch deutlich wird, dass jemand diese Schwächen wahrnimmt. Deswegen sind auch lobende Kommentare unangenehm, weil man eine entsprechend negative Reaktion erwartet, wenn man z.B. ein Stück noch nicht kann. Man fühlt sich in seinem privaten Bereich ungebeten eingeschränkt und fremdbestimmt.
In meinem Fall war die Kommentatorin eine Psychotherapeutin, die mein gelegentliches Üben immer wieder mal kommentiert. Ich empfinde es jedes Mal gleich unangenehm. Und Tatsache, dass eine Psychotherapeutin so unsensibel in dieser Frage ist, veranlasst mich zu der Aufforderung: “Wie wir was warum üben, geht euch einfach nichts an.”
Der Beitrag wurde am Freitag, den 23. Februar 2024 um 08:54 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Eingeschoben, Krimskrams abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .