Tensiometer versus Drehmomentschlüssel
Eigentlich hatte ich bereits einen Artikel fertig geschrieben, in dem ich mein Verhalten beim Einsatz der Messgeräte Tensiometer, Drehmomentschlüssel und Messuhr bei der Reparatur und Pflege meines Fahrrads beschreibe. Mit diesem Vorgehen wollte ich erklären, wie man Kontrollmöglichkeiten bei Dingen handhaben kann, die viele nach eigener Ansicht auch “ins Gefühl” bekommen.
Was ist ein Tensiometer? Mit einem Tensiometer misst man die Speichenspannung. Diese sollte möglichst gleichmäßig und recht hoch sein, jedoch nicht so hoch, dass etwas reißt. Dann erhält man ein sehr stabiles Laufrad, das man höchstwahrscheinlich nicht nachzentrieren muss und dessen Speichen vermutlich nicht brechen. Darüber hinaus soll sich das Laufrad schneller aufbauen lassen.
Es gibt Menschen, die behaupten, man könne durch Abtasten an den Kreuzungspunkten der Speichen spüren, ob die Spannung stimmt. Ich persönlich kann das nicht.
Einen Drehmomentschlüssel verwendet man, damit man Schrauben so fest anzieht, dass sie weder abreißen noch sich lösen können. Wenn ich überprüfe, ob ich meine Schrauben fest genug angezogen habe, liege ich höchstens um einen Newton daneben. Das entspricht ungefähr einer Vierteldrehung mit dem Schraubendreher.
Die naheliegende Erklärung dafür ist: So selten wie ich Laufräder baue, und so häufig, wie ich an meinem Fahrrad schraube, ist es kein Wunder, dass ich ein Gefühl für das Drehmoment entwickelt habe.
Doch irgendwann fiel mir ein gravierender Unterschied zwischen meinem Tensiometer und meinem Drehmomentschlüssel auf: Das Tensiometer verhindert, dass ich beim Messen der Speichenspannung denselben Sinneseindruck bekomme wie beim manuellen Zusammendrücken der Speichen am Kreuzungspunkt. Beim Messen mit dem Tensiometer habe ich keinen Körperkontakt zu den Speichen.
Mein Drehmomentschlüssel sieht hingegen aus wie eine Ratsche. Ich halte ihn genauso wie einen Inbusschlüssel. Die Griffe und damit die Hebel sind ungefähr gleich lang. Wenn ich also beim Schrauben mit dem Inbusschlüssel einen Widerstand spüre, der dem des Drehmomentschlüssels entspricht, kann ich davon ausgehen, dass ich im richtigen Bereich bin und die Schraube fest genug sitzt.
Wenn ich mir anschaue, welche Kontrollmöglichkeiten wir unseren Schüler*innen an die Hand geben, um zu beurteilen, ob sie etwas richtig spielen, dann funktionieren diese eher wie ein Tensiometer.
Denke ich diesen Gedanken weiter, wäre es eine Möglichkeit, dass man nach der Messung mit dem Tensiometer die Speichen abtastet. (Das machen vermutlich die wenigsten, die ein Tensiometer benutzen, weil es keinen Vorteil bringt, ob man die Spannung spürt oder nicht. Es kostet nur Zeit.)
Übertragen auf die Musik bedeutet das: Man spielt die Passage noch einmal ohne Kontrolle und hört sie sich an. Doch meiner Erfahrung nach gibt es dabei ein Problem: Unsere Kontrollmethoden sind zugleich auch Produktionsmethoden. Wenn man dieses oder jenes tut, dann wird es richtig. Das heißt, das Einhalten der Produktionsweise ist zugleich die Kontrolle. Eigentlich überprüft man, ob man die Methode korrekt angewendet hat. Wenn man nun die Kontrolle abschaltet, schaltet man auch die Produktionsmethode ab oder beeinträchtigt sie stark. Das Ergebnis ist dann mit höherer Wahrscheinlichkeit fehlerhaft. Damit lassen sich die Sinne nur schwer trainieren.
Was bedeutet das unter Umständen für den Unterricht?
- Nutzt die Kontrollmethode denselben Sinneseindruck, den wir Musiker*innen verwenden?
- Wenn nein: Auf welchen Sinneseindruck müssten Schüler*innen achten, um ein Gefühl oder Gehör für die Sache zu entwickeln?
- Sagen wir unseren Schüler*innen, dass ein Fokuswechsel notwendig ist?
Der Beitrag wurde am Freitag, den 30. Mai 2025 um 08:06 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gitarre lernen, Gitarrenunterricht, Übemethodik abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .