Melisma mit Vokal
Vielleicht erzähle ich für viele hier einen alten Hut.
Meine Schüler lassen mich eigentlich meistens ziemlich schnell wissen, dass meine Begeisterung für das Singen nervt (Das war die sehr diplomatische Formulierung). Sie hätten schon genügend andere Probleme. Singen hilft nicht, sondern macht nur Ärger.
Das Kernproblem dürfte sein, dass den Text zu lesen und sich zu merken, die kognitive Last erhöht.
Jetzt habe ich eine Kleine, die liebend gerne singt. Teilweise ist es einfacher ihr etwas mit Text vorzusingen und sie es dann spielen zu lassen, als ihr mit irgendwelchen Übetricks zu kommen.
Diesem Kind fiel nichts Besseres ein, als sich den rechten Unterarm zu brechen. Also dachte ich mir, sing mit ihr die nächsten Stücke, dann tut sie sich leichter. Ich nahm ihr die Lieder auf, damit sie zuhause mitsingen kann.
In den Herbstferien hat sie trotz Gips versucht die Lieder zu spielen. Und ein Stück war danach „total doof“.
Die grünen Stellen klängen auf der Gitarre nicht so, wie sie es singt.
Unter “Der Ärger mit der Popmusik – Teil 1″ habe ich beschrieben, dass ich ab und zu es etwas merkwürdig fände, manche Popmelodie zu transkribieren, weil man rhythmische Impulse erhält, die als angeschlagener Ton auf der Gitarre merkwürdig wirken.
Es war verblüffend. Wenn ich die Stellen singe, dann meint meine Schülerin, dann sänge ich drei Töne und ich sänge richtig. Wenn sie singt, dann wäre das auch richtig, aber sie würde nur zwei Töne wahrnehmen.
Die Schülerin singt, wie Kinder in ihrem Alter meiner Erfahrung nach singen. Sie schmiert von dem ersten Ton des Melismas in den zweiten und irgendwann fängt die zweite Silbe an.
Doch eine zweite Sache fand ich auch bemerkenswert. Es waren nicht die einzigen Melismen, die in den Liedern auftauchten. Dieses Problem tauchte nur bei Melismen auf, deren erste Silbe mit einem Vokal aufhörte und die Folgesilbe mit einem Vokal begann. Mit Konsonanten bei den Silbenübergängen gab es das Problem nicht.
Aber warum schreibe ich diese Geschichte auf? Für mich war es einer der Momente, wo ich bemerke, was für einen Weg der menschliche Geist vor sich hat und wie selbstverständlich er ihn nehmen wird. Wie komme ich darauf? Ich musste an verschiedene Dinge denken, die ich in der Entwicklungspsychologie gelernt habe. Ob das die wirklichen Erklärungen sind, lass ich mal dahin gestellt. Aber es gibt Momente, da merke ich, dass gänzlich elementare Sachverhalte in der Musik keine Selbstverständlichkeit sind und gelernt werden müssen. Dabei wundere ich mich immer mehr, warum diese Dinge eigentlich jeder früher oder später begreift ohne dass man viel dazu tun muss.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 11. November 2016 um 08:04 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Eingeschoben, Gitarre lernen, Gitarrenunterricht abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .