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Gitarrenunterricht in Frankfurt

Dipl.-Gitarrenlehrer Stephan Zitzmann

Anschlag – Lenken wir zu stark aus? – Teil 1

Der Titel ist etwas provokant. Aber die Frage stellt sich mir. Aber zuerst, wie komme ich auf die Frage? Es sind mehrere Dinge in meinem Kopf zusammengeflossen.

Als ich mich mit Visuelle Geometrie der Nagelformung – Teil 1 beschäftigte, stellte sich mir die Frage, ob das Wort Rampe stillschweigend eine Vorstellung erzeugt, die nicht stimmt. Das Wort Rampe erzeugt meiner Meinung nach den Eindruck, dass die Rampe der Nagelkante die Saite nur auslenkt. Es kam mir die Frage, könnte es sogar sein, dass die Saite durch die Nagelkante sich ihrem entspannten Zustand wieder annähert?

Der Gedanke verlor sich aber wieder im Gestrüpp der anderen Gedanken.

Ich habe eine französische Anfängerschülerin, die Physiklehrerin ist. Auch wenn sie leise spielt, wirkt das in der rechten Hand immer wie Kraftsport. Ich erklärte ihr deswegen, sie würde vermutlich mit 10 Newton die Saite auslenken und dann den Druck um 9 Newton senken, damit die nötigen 1 Newton wirken können.

Es keimte deswegen die Frage, ob diese Art von Kraftüberschuss ein Grundproblem sein könnten.

Ein Schüler von mir, der Klavierbaumeister ist, erzählte mir, dass Horowitz das Bleigewicht in seinen Tasten von 50 auf 30 Gramm hätte senken lassen, damit seine körperlichen Beschwerden abnehmen würden. Wer verstehen will, worum es technisch genauer geht, dem empfehle ich http://www.pian-e-forte.de/texte/spielwerk06.htm zu lesen.

Dann schrieb ich den Artikel Nagelform und Hookesches Gesetz und damit war die Frage geboren, verdoppelt sich die aufgewandte Kraft, wenn ich die Auslenkung verdopple? Und wie hoch sind diese Kräfte, wenn 20 Gramm beim Klavier solch eine Wirkung haben können? Pianist*Innen sind für Gitarrist:Innen ja eher Grobmotortiker.

Weiter habe ich mir die Frage gestellt, ob die Saite beim Anschlag von selbst ohne großes Zutun unsererseits auf der Nagelkante immer von der Fingerkuppe wegrutscht oder ob man eher meistens stillschweigend diese Prozess durch Koordination herbeiführen muss.

Also begann ich zu rechnen. Meine Gleichung konnte ich nicht so umformen, sodass ich hätte sagen können, ob die Auslenkung proportional zur aufgewendeten Kraft ist.

Saiten sollen aus PA 6.6 bestehen. In diversen Quellen findet man das Elastizitätsmodul dieses Materials. Ich erhielt Zahlen, die erlauben zu sagen, für den interessanten Bereich von 0 bis 3 Millimeter der Gitarre ist nahezu von einer Proportionalität auszugehen. Bloß der Betrag der Kraft schien mir doch zu hoch. Ich kam für einen Millimeter Auslenkung auf ca. 4 Newton. Also man müsste ca. 400 Gramm auf die Saite legen, sodass sie um einen Millimeter ausgelenkt wird.

Weil mir das zu hoch schien, suchte ich, ob irgendein Mensch versucht hat, diese Kraft zu messen oder zu berechnen. Ich stieß dabei auf Ausführungen des Maschinenbaus zum Thema Biegung. Die Formeln halfen mir nicht weiter, weil zu schwer und die benötigten Daten zum Einsetzen fand ich auch nicht. Ich wollte schon aufgeben, bis ich in einem Skript die Aussage fand, wenn die Auslenkung minimal zur Länge des Balkens ist, dann steigt die Kraft direkt proportional zur Auslenkung. Ich würde sagen, das trifft bei einer Saite und ihrer Auslenkung zu.

(Es gibt aber einen Wermutstropfen. Die Lagerung der Saiten entsprachen nicht dem Beispiel. Die beiden Enden des Balkens waren nicht befestigt. Die Mechanik der Gitarre ist ein starres Lager und der Steg ein halbstarres Lager.)

Also war nur noch die Frage, von wie viel Kraft sprechen wir? Ich besorgte mir eine Federwaage. Mit Privatmittel ist es schwer, die Auslenkung zu messen. Aber bis sich die Saite minimal sichtbar bewegt, konnte ich Kräfte von 0,2 bis 0,5 Newton messen. Bei einer Auslenkung von zwei bis drei Millimeter bewegten sich die Werte bis zu 5 Newton.

Und wo ist nun das/mein Problem?

Die mir bekannten Erklärungen zum Anschlag erklären, dass ein Gelenk gebeugt wird und dadurch die Fingerkuppe und/oder Nagel über die Saite bewegt wird. Dadurch wird die Saite verdrängt, sprich ausgelenkt. Was in den anderen Gelenken passiert, wird nicht thematisiert.

Also gehen wir von folgendem Gedanken aus, das Mittelgelenk wird gebeugt, die anderen Gelenke bleiben ruhig im Raum und verändern ihre Winkel nicht.

Das bedeutet, die Finger/Nagelspitze beschreibt eine Kreisbahn und die Saite muss der Finger/Nagelspitze aus dem Weg gehen. Die Distanz zwischen dem Ansatzpunkt und dem Verlassenspunkt auf meinen Nägeln beträgt zwei bis drei Millimeter. Es geht um die Höhendistanz, nicht wie lange die Saite am Nagel entlangfährt. (Man fährt 10 km zum Gipfel (Nagelspitze), überwindet aber eine Höhendifferenz vom Fuß des Berges (Ansatzpunkt) von 1000 Höhenmeter.)

Dies bedeutet, die Saite müsste in dem Modell zwei bis drei Millimeter ausweichen. Dazu kommt noch, dass die Finger/Nagelspitze eine Kreisbahn beschreibt. Bei einem Tirandoanschlag müsste die Saite einen halben Millimeter weniger ausweichen, bei einem Apoyandoanschlage einen halben Millimeter mehr.

(Der Grund für diesen Unterschied ist, dass bei einem Tirandoanschlag, die Kreisbahn von der Saitenebene wegführt, bei Apoyandoanschlag hinführt. Vielleicht liegt in diesem geometrischen Aspekt die Tatsache begründet, dass Apoyando leichter laut zu spielen ist.)

Jetzt gehen wir davon aus, ich will einen leisen Ton spielen, der einen Viertelmillimeter Auslenkung braucht. Wenn das System so starr ist, wie oben postuliert, dann habe ich ein Problem. Ich kann keine Auslenkung von einem Viertelmillimeter erzeugen, weil nur eine Auslenkung zwischen 1,5 und 3,5 Millimeter möglich ist.

Aufgrund meiner Messungen nehme ich 0,2 Newton benötigte Kraft für einen leisen Ton an. Also bräuchte ich für die oben angenommene Auslenkung von zwischen 1,5 und 3,5 Millimeter zu erreichen 3 bis 6 Newton. Zum Vergleich, das wäre ungefähr so, als würde ich mich bereit machen 30 bis 60 kg anzuheben, um 2 kg zu heben.

Also dieses Auffassung eines starre und unflexible System stellt uns vor unlösbare Probleme.

Also wie lösen wir das? Dazu in der nächsten Woche mehr.

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Der Beitrag wurde am Freitag, den 3. Juni 2022 um 08:30 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gitarre lernen, Gitarrentechnik, Gitarrenunterricht abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .