Gehörbildungstipp 2 – „Short is beautiful“ oder „Ein Ton ist so viel wie zwei Hauptsätze“
Ich habe gegenüber einer Schülerin den Satz fallen lassen: „Ein Ton ist wie ein Buchstabe in der Sprache.“ Ihre empörte Gegenrede war: „Nein, eher wie zwei Hauptsätze, also ca. 20 Buchstaben.“
Daraufhin habe ich andere Schüler*Innen gefragt, was für einer Größe entspricht ein Ton, wenn man ein Stück auswendig lernt oder nach Gehör spielt. Die meisten finden ein Wort sei die passende Größe. Einer ging sogar auf die Größe einer Silbe herunter.
In anderen Worten, sich dasselbe Stück Musik zu merken, scheint je nach Training unterschiedlich aufwendig zu sein. Ich möchte das illustrieren.
Ich habe vor vielen Jahren versucht, Norwegisch zu lernen. Es gab eine CD, in der die Text so gesprochen wurden, sodass ich nicht einmal erkannte, wo die Worte waren. Also ich sie nicht nachsprechen konnte.
Hier ein normal gesprochener Satz auf Norwegisch. Ich kann keine Worte erkennen, noch könnte ich den Satz schreiben. So dürfte es vermutlich jedem gehen.
Hier ein Beispielsatz aus einem Norwegischtutorial. Ich höre die drei Worte, weil ich mich noch an so viel Norwegisch erinnern kann und die deutsche Übersetzung eingeblendet wurde.
Wenn man keine Ahnung hat, dann dürfte es einem so gehen, wie mir mit dem ersten Beispielsatz. Und wie sieht es mit aufschreiben aus?
Hier ist der Satz in langsameren Tempi und die Worte abgesetzt gesprochen.
Aber vielleicht fühlt man sich doch wohler und besser, wenn man sich die Einzelworte anhören könnte.
Ein Intervall ist eine Melodie
Man sollte sich nicht scheuen, auf Zwei-, Drei oder Viertongruppen zu gehen. Denn dann lernt man Strukturen zu hören. Mit Strukturen meine ich Intervalle, Dreiklänge bzw. Akkorde, Tonleiterfragmente und Rhythmusmodelle.
Warum halte ich das für wichtig? Soll man sich die Zahlenreihenfolge 93884925923592 merken, fällt das einfacher, wenn man zweistellige Zahlen kennt. Bloß in der Musik hilft – um im Bilde zu bleiben – nicht jede Zahlenkombination, sondern es helfen nur bestimmte.
Jetzt werden einem*r zwar zur Übung vielleicht Dreiklänge sukzessive vorgespielt, aber meist einfach nur in Vierteln. So etwas wie eine Rhythmisierung, Phrasierung und/oder Artikulation können das Erkennen solch einer Struktur erschweren.
Hier ein Dur-Dreiklang abwärts, wie ihn Gehörbildungslehrer und Programme vorspielen und ein Durdreiklang aus der freien Wildbahn.
Je nach Fähigkeitenstand kann man die Zusatzinformationen der freien Wildbahn als sehr störend empfinden. Wenn dann das noch in einen Kontext eingebunden ist, dann erkennt man die Struktur nicht mehr. Also warum nicht diesen Zwischenschritt einbauen.
Ich habe mich gefragt, ob dieses Beispiel das Problem wirklich illustriert. Ich habe diese Beispiele mit einem Schüler (7. Klasse) ausprobiert. Bei dem Klavierbeispiel hat er den D-Dur-Dreiklang in erster Umkehrung erkannt. Aber bei dem Geigenbeispiel passiert etwas Hochinteressantes. Sein Ergebnis und er war sich todsicher, war ein G-Dur-Dreiklang in erster Umkehrung. Die Verwandtschaft der Töne erkannte er auch nicht. Man sieht, es gibt viel zu lernen
Um wieder auf mein Zahlenbeispiel zurückzugreifen. Wenn ich nur übe, die Zahl 33 zu erkennen, wenn sie mit besten Kontrasten, scharf und schön groß abgebildet ist, erkenne ich sie nicht unbedingt bei Nacht und Nebel im Vorbeifahren hinter einer verschmierten Fensterscheibe. Deswegen halte ich es für sinnvoll, Diktate so zu zerstückeln, weil es eine Zwischenstufe darstellt.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 17. Februar 2023 um 08:21 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gehör, Gitarrenunterricht, Musikalität abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .