Peter Bursch und die Tabulatur – Teil 3
(Hier geht es zum Teil 2)
An einer anderen Stelle des Interviews erzählt Peter Bursch, zu ihm sei ein Schüler gekommen, der ein Stück von Metallica hätte spielen wollen. Der Gitarrenlehrer an der Musikschule hätte gesagt, das ginge erst in ein paar Jahren, weil der Schüler die Noten noch nicht kennen würde.
Er, Peter Bursch hätte das dem Schüler mit Tabulatur sofort vermitteln können.
Ich nehme an, bei dem Metallica-Stück handelt es sich um den üblichen Verdächtigen „Nothing else matter“. Wenn es sich um ein anderes Stück gehandelt hat, ist es auch relativ egal. Der Sachverhalt, den ich gleich beschreiben werde, ist wahrscheinlich der gleiche.
Dass der Zeithorizont mit Jahren angegeben wurde, hängt bestimmt nicht nur an den Noten, sondern als Klassiklehrer arbeitet man einen technischen Lehrplan ab. Persönlich würde ich nicht jedem Schüler, der die Noten dieses Stückes als solches beherrscht, dieses Stück spielen lassen. Aber aus technischen Gründen.
Und ist es sinnvoll eine Technik anzureißen, um dann wieder für lange Zeit ad acta zu legen?
Persönlich wundere ich mich, dass Peter Bursch dieser Gedanke anscheinend nicht kommt, dass Stücke auch mit dem Lehrplan kompatibel sein sollten. Dass er die kolportierte Aussage für bare Münze nimmt und nicht aus seiner Lehrerfahrung weiß, da könnten auch noch andere Gründe entscheidend sein und/oder der Schüler hat die Lage verkürzt dargestellt.
Aber stimmt es, dass Noten das Gitarre spielen lernen extrem verlangsamt. Jein. Es wäre idiotisch, jemand Noten beizubringen, der nur ein paar Akkorde schrubben oder zupfen will. In meinen Liedbegleitungskursen arbeite ich auch ohne Noten.
Aber sobald die Musik über pures akkordisches Spiel hinaus geht, braucht man Noten. Und da muss man dem Instrument Gitarre leider ganz klar und deutlich attestieren, es gibt Instrumente und das sind die meisten, bei denen der Zusammenhang, was muss ich mit meinen Fingern bei einer bestimmten Note machen, deutlich leichter zu erkennen ist als bei der Gitarre.
Ich behaupte, ein mäßig intelligenter Klavierschüler kann – nachdem er fünf Noten gelernt hat – bei jeder weiteren neuen Note die dazugehörige Taste selbst herausfinden.
Ein überdurchschnittlich intelligenter Gitarrenschüler, der vielleicht sogar Klavier gespielt hat, kann nach fünf gelernten Noten nicht unbedingt sagen, wo der nächste neue Ton gespielt wird. Wenn der Schüler nur Gitarre gelernt hat, dann hat der Schüler keine Chance.
Wegen dieser Unklarheit muss man auf der Gitarre jeden Ton pauken. Deswegen scheint Tabulatur so attraktiv, weil es einem erst einmal diese Arbeit spart.
Die interessante Frage ist aber, was passiert, wenn ein jahrelanger Tabulaturspieler lernen will, nach Noten zu spielen. Meine Erfahrungen sind unterschiedlich. Aber die Tendenz geht dahin, dass man mehr Arbeit investieren muss als man sich gespart hat.
Jetzt habe ich so viel geschrieben. Warum?
Mich ärgert an der Peter Bursch Haltung zweierlei. Letztendlich, obwohl Peter Bursch das vermutlich nicht beabsichtigt, spielt er Noten gegen Tabulatur aus, sodass ich mich teilweise dann doch frage, ob er bewusst Dinge verschweigt oder von manchen Dingen keine Ahnung hat.
Letztendlich finde ich diesen Ansatz Tabulatur contra Noten unproduktiv. Ich verwende in meiner Arbeit Tabulaturen, um meine Arbeit mit Noten zu unterstützen. Als Hilfsmittel. Genauso gut kann ich mir vorstellen, dass ein Tabulaturlehrer Noten als Hilfsmittel einsetzen könnte.
Vielleicht ist es sogar so, dass die Tabulatur die Hemmschwell senkt, das Instrument zu lernen. Aber das ist kein Grund Noten auszuschließen, sondern vielleicht eine Chance, dass Erlernen des Spiels nach Noten zu vereinfachen.
Jetzt stellen wir uns vor, ein Notenschüler und Tabulaturschüler spielen sich ihre Stücke vor und jeder findet ein Stück des anderen toll. Sie wollen ihre Stücke austauschen.
Der Notenschüler kann dem Tabulaturschüler, nachdem dieser ihm erklärt hat, wie Tabulatur funktioniert, eine Tabulatur schreiben.
Der Tabulaturschüler wird aber dem Notenschüler keine Noten schreiben können. Gut der Notenschüler könnte nach Tabulatur spielen.
Aber der Tabulaturspieler ist derjenige, der auf die Hilfe anderer angewiesen ist und bleibt. Der Tabulaturspieler bleibt der von Anderen abhängige.
Wenn man das unter einem rein wirtschaftlichen Standpunkt betrachtet, ist das eine geniale Strategie.
Ich schreibe Bücher, in denen die Menschen keine Noten lernen. Damit kann ich weitere Bücher verkaufen, weil die Menschen keine Noten können. Sie brauchen mich als Übersetzer. Ich halte die Menschen zu meinem Vorteil in Abhängigkeit.
Ich schaffe einen Markt, indem ich Menschen von mir abhängig mache.
Peter Bursch öffnet ja keinen Weg oder hält einen Türspalt zu Noten offen. Da fällt mir ein geschmackloser Vergleich ein.
Der Kolonialherr wird vom Ureinwohner allgemein nach Bildung gefragt. Der Kolonialherr antwortet dem Ureinwohner: „Weißt Du die Bildung der Weißen ist so schwer zu erwerben, ich habe da euch System für euch Schwarzen entwickelt. Mehr braucht man auch nicht.“
In einem sozialkritischen Stück würde der Kolonialherr händereibend abgehen und ins Off sprechen: „Die werde ich noch lange ausbeuten können.“
Dieser Vergleich hinkt, weil wir in einer freien Gesellschaft leben und man selbstverantwortlich ist.
Aber ein Anfänger ist ein Anfänger und man kann noch nicht sagen, was für einen Weg er geht. Viele in Deutschland betrachten es als Anmaßung, dass man bei Kindern schon in der vierten Klasse aussiebt, ob das Kind für Abitur und damit Studium geeignet ist.
Man sucht deswegen nach Möglichkeiten, Wege offen zu halten. Peter Bursch macht es aber zu seinem Markenzeichen, nur einen Weg zu beschreiten und keine Türen zu anderen Wegen offen zu halten.
Peter Bursch behauptet ja von sich in dem Interview, ihm wäre der Wert von Noten durch seinen Klavierunterricht durchaus bewusst. Deswegen stellt ich die Frage, warum versucht Bursch keine Türe zu den Noten offen zu halten.
In dem Interview beschreibt er Noten als das große Lernhemmnis. Was Peter Bursch als Wohltat betrachtet, kann man unter einem bestimmten Gesichtspunkt als elitär und reaktionär ansehen. Denn ohne es zu wollen, sagt Peter Bursch die breite Masse ist zu dumm für Noten. Es wäre ein Medium für nur wenige. Und es ist nicht nötig die Türen zu dieser vermeintlichen Hochkulturtechnik offen zu halten.
Ich habe bei dem Schreiben des Artikels überlegt, warum sagt Peter Bursch in dem Interview den Noten so viel Schlechtes nach. Dabei fiel mir das Sprichwort ein, wenn Du mit einem Finger auf etwas deutest, deuten drei Finger auf dich.
Jetzt will der Leser, der bisher durchgehalten hat, wissen, soll er sich für Noten entscheiden oder nicht.
Als Anfänger würde ich mich für gar nichts entscheiden. Aber letztendlich ist der Lehrer entscheidend.
Versuche herauszufinden, ob der Lehrer deine musikalischen Interessen überzeugend darbieten kann. Wenn er dir Noten empfiehlt, dann lerne nach Noten. Wenn er mit Tabulatur arbeitet, bitte ihn dass er dir trotzdem Kenntnisse vermittelt Noten auf der Gitarre umzusetzen, sodass Du nicht gänzlich blank dastehst, wenn Du eine musikalische Welt betreten willst, in der man mit Noten besser klar kommt. Wenn der Lehrer dir dann aber erzählt, man bräuchte keine Noten, weil es gäbe ja Tabulatur, dann drehe sofort um und suche dir einen anderen Lehrer.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 27. November 2015 um 08:29 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gitarre lernen, Gitarrenunterricht abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .