Primarcy of the Ear (Ran Blake) – Ein Ideenkatalysator 3
Eigentlich weiche ich jetzt ziemlich stark vom Thema ab, aber es gehört doch zu diesem Themenkomplex. Ich werfe jetzt einfach mal folgende These in den Raum: „Klangvorstellung ist ungleich Tonhöhenvorstellung. Bzw. Klang behindert das Erfassen von Tonhöhe.“
Einer der Dinge die in der musikalischen Welt als selbstverständlich hingenommen werden, sind bei genauerer Betrachtung gar nicht so selbstverständlich. Mich hat jemand mal gefragt, ob denn ein neuer Ton entstehen würde, wenn man drei Töne gleichzeitig spielt. Ich habe etwas gestutzt. Und verneinte.
Jetzt habe ich in meiner Jugend Physikleistungskurs gehabt und weiß, wenn man verschiedenfarbiges Licht mischt, erkennt ein Mensch eine neue Farbe. Die Grundfarben erkennt er nicht. Eigentlich kommt man gar nicht auf die Idee, bei gemischten Farben die Grundfarben zu erkennen. Aber dass das bei Tönen ganz anders ist, hat mich bis zu dieser Frage nie gestört. Es ist mir schlichtweg nicht eingefallen.
Physiker nehmen aus Demonstrationszwecken ein Prisma, um die Grundfarben wieder herzustellen. Aber was ist das Prisma für die Töne? Unsere Wahrnehmung!
Jetzt kommt aber vielleicht der Einwand, aber ein einzelner Ton das ist doch ein klare Tonhöhe! Ein musikalischer Ton ist keine reine Sinuswelle, sondern eine Addition von mehreren Sinuswellen, bekannt unter dem Namen Obertöne. Ein Ton ist ein Wellengemisch. Die Frequenz der Wellen stehen zwar in ganzzahligen Verhältnissen zu einander, aber warum ist eigentlich immer die Grundschwingung gleich der Tonhöhe. Und wie findet das die Wahrnehmung und die Kognition heraus.
In der Gehörschnecke wird zwar ein Ton wie bei der Fourieranalyse in seine einzelnen Schwingungen zerlegt. Aber wie entsteht die Konvention, dass immer die tiefste Schwingung gewählt wird, und als Tonhöhe verstanden wird.
Vielleicht kennt so mancher das Phänomen, wenn man musikalisch unerfahrene Menschen lang genug zu einem stabilen Ton – Orgel ist meiner Erfahrung am besten geeignet – singen lässt, entsteht fast immer ein Intervall, aber die Prim hat nicht die Häufigkeit, wie es sein müsste, wenn es einen Automatismus gäbe, Grundschwingung ist gleich Tonhöhe.
Also es muss gelernt werden, die Tonhöhe aus dem Klang zu filtern.
Doch viel spannender ist die Frage, wenn mehrere Töne zusammen erklingen. Spiele ich eine Quinte überlagern sich verschiedene Obertöne der einzelnen Töne. Ein Schüler von mir -seines Faches Maschinenbauingenieur – hat mir dafür den schönen Begriff der Überhöhung an die Hand gegeben.
Das bedeutet manche Stellen des Gehörnervs werden ganz besonders stark gereizt. Aber woher weiß das Ohr, ob an solch einer Überhöhung jetzt eine Grundschwingung und ein Oberton zusammentreffen oder zwei Obertöne.
Es wird noch komplizierter, einmal spielen zwei Geigen zusammen, dann eine Flöte und ein Klavier. Es könnte doch sein, dass die Überhöhung zweier Geigenobertöne stärker ist, als die Überhöhung der Grundschwingung der Flöte mit einem Oberton des Klaviers. Wie wird der menschliche Geist schlau aus all diesen Überhöhungen.
Wenn ich es so betrachte, eigentlich ist es so gesehen schon sehr eigenartig, dass Musik in ihrer Selbstreflexion so auf Tonhöhen fixiert ist.
Diese Kompliziertheit des Themas habe ich auch in Ran Blakes Buch bemerkt. Bei der Melodie verlangt er einfach, dass sie aus dem Gedächtnis gesungen wird. Bei der Basslinie und der Harmonie darf man schon zur Aufnahme mitsingen. Jochen Pöhlert der in seinem Ohrenbuch einen ähnlichen Ansatz vertritt, drückt sich auch um das Thema herum, wie man übt, aus dem Gedächtnis Harmonien zu singen.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 14. April 2017 um 08:48 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Gitarre lernen, Gitarrenunterricht, Musikalität abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .