Coronabetrachtungen – Teil 2
Gesichter ohne Masken
Als die Gesichter meiner Schüler*Innen hinter den Masken verschwanden, fand ich das weniger schlimm, denn die meisten kenne ich lange genug, um trotzdem an anderen Merkmalen zu wissen, was in ihnen vorgeht.
Doch als ich die Gesichter wiedersah, hatte ich teilweise das Gefühl von Verlust. Die meisten Gesichter sind in der Zeit reifer geworden. Ich habe das Gefühl, diese Entwicklung nicht mitbekommen zu haben und damit empfinde ich eine kleine Fremdheit meinem Gegenüber. Aber die kam erst nach der Enthüllung der Gesichter.
Es gab in der Maskenzeit auch neue SchülerInnen. Mit denen traf ich mich in den ersten Minuten im Freien, damit man die Gesichter zumindest mal kurz gesehen hat.
Aber als die Masken fielen, war ich sehr verblüfft. Ich sah gänzlich zu meiner Erinnerung verschiedene Gesichter. Bei einer Schülerin hatte ich ein besonders kurioses Phänomen. Sie hat eine sehr junge Stimme, die auch noch sehr zerbrechlich wirkt. Stimmlich wirkt jünger als sie ist und sehr zerbrechlich. Aber das jetzt gezeigte Gesicht wirkt älter als das wirkliche Alter der Schülerin und das Gesicht lässt sie eher psychisch robust wirken.
Also wettstreiten nicht nur zwei Gesichter in meinem Kopf, sondern zwei Charaktere.
So weit unterhaltsam, aber daran merke ich, wie sehr mich vielleicht Äußerlichkeit leiten.
Die große Erleichterung
Was ich jetzt erzähle, ist vielleicht schwer zu verstehen. Meine Eltern haben mich sehr spät bekommen und haben als sehr junge Erwachsene den Zweiten Weltkrieg miterlebt. Mein Vater war ein Jahr in Russland. So war ich in einer schon relativen modernen Welt von Erwachsenen umgeben, die die typisch deutschen Geschichten erzählten. Bombennächte, Flucht und Vertreibung.
Schlechte Zeiten sind deswegen in meinem Kopf schwarzweiß und von extremer Entbehrung geprägt. (Den Jugoslawienkrieg fand ich merkwürdig, weil der kam farbig im Fernsehen.)
Als ich Musik studieren wollte, kommentierte meine Mutter das mit Satz: “Und Du glaubst, dies wird hier immer so gut laufen wie jetzt.” Aber wer nimmt in solch einem Alter schon unkende Erwachsene ernst.
Am Anfang der Pandemie fiel irgendwo der Satz: „Dies ist die größte Krise seit 1945.“ Da fiel mir der Satz meiner Mutter ein und ich dachte: „Das meinte meine Mutter. Jetzt gehörst Du der Katz’.“
Während der Pandemie hatte ich auch immer das Gefühl, das dicke Ende kommt noch, das muss noch kommen. Aber es kam nicht.
Die kleine Erleichterung
Eine Sache fand ich bei Corona sehr störend. Die Verordnungen zwangen die Anbieter diverser Dinge in eine Art Polizeifunktion gegenüber den Kunden*Innen. Die Bewertung in der Bevölkerung von Corona war extrem unterschiedlich und da gab es aus dieser neudefinierten Beziehung sehr unschöne Dinge im Alltag zu beobachten.
Eigentlich bin ich der Ansicht, dass meine SchülerInnen und der Eltern nicht zum Extrem neigen, aber trotzdem hatte ich Sorge, dass Corona vielleicht doch Vernunft und Verstand überwindet. Das ist nicht geschehen. Und so kann ich recht dankbar sein, wie glimpflich alles bisher verlaufen ist.
Der Beitrag wurde am Freitag, den 9. Juli 2021 um 08:48 Uhr veröffentlicht von Stephan Zitzmann und wurde unter den Kategorien: Corona, Kinder, Krimskrams abgelegt. | Es gibt keinen Kommentar .